„Komm, den Frieden wecken“ - Gedenken zum 09.11.2025 in Großröhrsdorf

Auch in diesem Jahr luden Pfarrer i. R. Norbert Littig und Bürgermeister Stefan Schneider für Sonntag, den 9. November um 11:30 Uhr zur stillen Besinnung anlässlich der Reichspogromnacht vor 87 Jahren an den Gedenkstein der Familie Schönwald an der Ecke Bankstraße / Bandweberstraße ein.

Das Motto der diesjährigen Friedensdekade „Komm den Frieden wecken“ lädt dazu ein, Frieden aktiv zu suchen und zu fördern – in persönlichen Beziehungen, in der Gesellschaft und weltweit. 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Befreiung vom Faschismus und trotz vieler Kriege und Konflikte in der Welt ruft es dazu auf, die Bedeutung von Frieden und Versöhnung nicht zu vergessen. Das Motto soll Mut machen, Ängsten zu trotzen und in Gemeinschaft Hoffnung zu finden.

Vor 87 Jahren wurden in ganz Deutschland mehr als 200 Synagogen angezündet, Tausende jüdischer Geschäfte die Scheiben eingeworfen, jüdische Mitbürger durch die Straßen gejagt, gedemütigt und inhaftiert. Das Schicksal der in der Stadt Großröhrsdorf geachteten Familie Schönwald steht exemplarisch für ein landesweites Verbrechen. Ihrer gedenken wir an diesem Tag und nehmen zugleich die schlimmen Vorgänge in unserer Zeit wahr.

Bürgermeister Stefan Schneider warnte in seiner Rede vor dem schleichenden Antisemitismus: „Es ist wichtig, sich und sein Umfeld stets zu hinterfragen. Gerade in der aktuellen Situation sind derartige Gedenkfeiern wichtiger als je zuvor, um zu reflektieren und zu mahnen, damit diese Verbrechen sich nie wiederholen.“

Pfarrer i.R. Norbert Littig blickte in seiner Rede auf die Geschehnisse in Großröhrsdorf rund um die Reichspogromnacht vor 87 Jahren zurück. Wer im Rückblick geschichtliche Vorgänge in der Zeit des Nationalsozialismus bewertet, ist oft der Überzeugung, pauschal große Teile des deutschen Volkes als Anhänger oder Mitläufer disqualifizieren zu müssen. Anhand einiger Beispiele verdeutlichte Norbert Littig, wie der Widerstand dennoch möglich war.

„Da gab es den Bürgermeister Max Rentzsch, der sich während seiner 40-jährigen Amtszeit bis Dezember 1936 zum Wohle der Stadt engagierte und sich dem parteipolitischen Bemühen der Nationalsozialisten im Rahmen seiner Möglichkeiten widersetzte. Im Anzeiger erschien von 1933 bis 1936 nicht ein Artikel gegen das jüdische Kaufhaus Schönwald. Erst ab der Einsetzung des SA-Obersturmbannführers Herbert Rosig ins Bürgermeisteramt durfte keine Schönwald-Werbung im Amtsblatt erscheinen. Mit allen Mitteln versuchte er, den jüdischen Kaufhausbesitzer durch einen Boykott in den Ruin zu führen. Mitglieder der SA versuchten Kunden beim Einkauf bei Schönwalds einzuschüchtern, indem man sie beim Verlassen des Kaufhauses fotografierte.

Dennoch hatte das Kaufhaus im November 1938 seine Maximalbesetzung in seiner Mitarbeiterschaft. Insgesamt standen hier zehn Personen in Lohn und Brot. Im Kaufhaus herrschte ein ausgezeichnetes Betriebsklima. Zwei ehemalige Verkäuferinnen sagten 2006: „Wären wir wirklich boykottiert worden, hätten wir Personal entlassen müssen. Das war aber nicht der Fall.“ Die große Mehrheit der Kundschaft ließ sich nicht einschüchtern. Besonders auch die Schneiderinnen hielten Schönwalds die Treue und bezogen hier ihr Zubehör.

Vorläufiger Höhepunkt der Judendiskriminierung war das landesweit vorbereitete Pogrom in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938. Damit dieses Ereignis auch in Großröhrsdorf in der Nacht nicht ohne öffentliche Beteiligung ablaufen sollte, zwang man gewaltsam den hiesigen Kirchner Martin Boden, die Kirchenglocken zu läuten. Aber dieses Geläut hatte genau die entgegengesetzte Wirkung: Die Bewohner wurden wach und schauten nicht zustimmend, sondern mit Entsetzen durch ihre Fenster, wie das Ehepaar Schönwald durch die Straßen getrieben wurde. Bürgermeister Max Rentzsch notierte in einer privat verfassten Chronik: „Die Bewohnerschaft verurteilte dieses Vorgehen auf das Schärfste.“

Curt Schönwald wurde für zweieinhalb Wochen im KZ-Buchenwald inhaftiert. Seine Entlassung erfolgte mit der Auflage, dass er sein Geschäft zu verkaufen habe und nach Berlin in ein „Judenhaus“ zog. Die Kontakte zu nicht-jüdischen Mitbürgern sollten auf diese Weise unterbunden werden. Doch Schönwalds pflegten mit einigen Großröhrsdorfern brieflichen Kontakt in dieser für sie so schweren und ungewissen Zeit. Nachweislich haben Dr. Nekwasil, der Nachmieter, und ihre langjährige Haushaltshilfe sie in Berlin besucht. Auch darin zeigt sich Freundschaft und echte Mitmenschlichkeit, die der Nazi-Geist nicht zerstören konnte.

Widerstandskämpfer waren die Einwohner von Großröhrsdorf in der NS-Zeit gewiss nicht. Auch gab es keinen organisierten Widerstand gegen das System der Diktatur. Viele lebten einfach eine mitmenschliche Grundhaltung, die ihnen im Elternhaus und durch eine echte christliche Verkündigung anerzogen wurde. Und sie ließen sich auch darin nicht beirren, als man auf sie psychischen Druck ausübte. So konnten sie zwar die Vertreibung der jüdischen Mitbürger und deren Ermordung nicht verhindern, aber in gleicher Grundhaltung waren sie auch nicht bereit, dieses tragische Schicksal zu vergessen. Die Tafel am Gedenkstein soll bleibend weitere Generationen an das Leben und Wirken der Schönwaldfamilie in der Rödertalstadt erinnern. Und der Gedenkstein soll uns zugleich mahnen, dass auch wir für die Achtung der unverlierbaren Würde eines jeden Menschen in unserem Umfeld und Wirkungskreis eintreten.“

Im Anschluss legten alle Anwesenden unter musikalischer Begleitung durch ein Akkordeon-Trio zum Gedenken aller Menschen, die unter Unfrieden und Unrecht leiden, am Gedenkstein der Familie Schönwald Blumen nieder.

Reichspogromnacht Gedenken
Reichspogromnacht Gedenken

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