Auch in diesem Jahr luden Pfarrer i. R. Norbert Littig und Bürgermeister Stefan Schneider am 9. November zur stillen Besinnung anlässlich der Reichspogromnacht vor 86 Jahren an den Gedenkstein der Familie Schönwald an der Ecke Bankstraße / Bandweberstraße ein.
Vor 86 Jahren wurden in ganz Deutschland mehr als 200
Synagogen angezündet, Tausende jüdischer Geschäfte die Scheiben eingeworfen,
jüdische Mitbürger durch die Straßen gejagt, gedemütigt und inhaftiert. Das
Schicksal der in der Stadt Großröhrsdorf geachteten Familie Schönwald steht
exemplarisch für ein landesweites Verbrechen. Ihrer gedenken wir an diesem Tag
und nehmen zugleich die schlimmen Vorgänge in unserer Zeit wahr.
In diesem Jahr steht die kirchliche Friedensdekade, in der
bewusst über den Frieden, die Gerechtigkeit und der Bewahrung der Umwelt
nachgedacht werden soll, unter dem Thema „Erzähl mir vom Frieden“. Dies nahm Pfarrer
i. R. Littig in seiner Rede zum Anlass, über drei Beispiele zu berichten, wo
Menschen sich weigern zu hassen, obwohl sie vielleicht Grund dazu hätten. „Es
sind drei Ansätze, wie Frieden gelingen kann.“ betonte Norbert Littig. Leider
schaffen es diese positiven Erzählungen kaum in unsere täglichen Nachrichten.
Der Parents Circle (Kreis der Eltern) ist eine
Bewegung, die 1995 in Israel gegründet wurde von Eltern, deren Kinder von
Hamas-Terroristen entführt und ermordet wurden und von palästinensischen Eltern,
deren Kinder von israelischen Besatzungssoldaten getötet wurden. Der Grundgedanke
dieser Bewegung ist: „Unsere berechtigte Trauer darf nicht zur Quelle von neuem
Hass werden, der neue Gewalt meint rechtfertigen zu dürfen.“ Diese Eltern
begegnen sich und erzählen einander von ihrem Leben, ihren zerstörten Hoffnungen,
ihren Leidenserfahrungen und von dem gewaltsamen Tod ihrer geliebten
Angehörigen. Über 700 Elternpaare sind es inzwischen, die der tiefe Schmerz
über den gewaltsamen Verlust ihrer Kinder verbindet. Er befördert ein besseres
Verstehen der jeweils anderen Seite. Damit wird ein Prozess der Aussöhnung und
der Toleranz der ganz verschiedenen Menschen in Gang gesetzt. Eben weil diese
Bewegung das gängige Freund-Feind-Denken von beiden Seiten quasi unterwandert,
werden die Mitglieder von beiden Seiten scharf kritisiert oder auch attackiert.
Unter dem Grundgedanken „Musik verbindet“ gründeten 1999 ein
US-amerikanischer Literaturwissenschaftler mit palästinensischen Wurzeln
(Edward Said) und der argentinisch-israelische Dirigent Daniel Barenboim ein
einzigartiges Orchester: West-Ost-Divan-Orchester. In diesem Orchester konzertieren
junge Musiker im Alter von 14 bis 25 Jahren aus Ägypten, dem Libanon, dem Iran,
Syrien, Israel und der Westbank zusammen. Die Hälfte sind Araber, die andere
Hälfte Juden.
Als drittes Beispiel nannte Pfarrer i. R. Littig den
Oberrabbiner von Moskau Pinchas Goldschmidt. Als russische Truppen am
24.02.2022 in der Ukraine einfielen, war Präsident Putin bemüht, dass all die
religiösen Oberhäupter seines Landes diese so genannte „Spezialoperation“ klar
absegneten. Wer sich diesem Druck nicht beugte, wurde schnell zum
„ausländischen Agenten“ erklärt. Auf dieser offiziellen Liste steht auch der
Name des international bekannten Oberrabbiners. Er weigerte sich den Krieg zu
unterstützen und trat nach 30 Jahren als Oberrabbiner zurück.
Im Anschluss legten alle Anwesenden unter musikalischer
Begleitung durch ein Flötenquartett zum Gedenken aller Menschen, die unter
Unfrieden und Unrecht leiden, am Gedenkstein der Familie Schönwald Blumen nieder.
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