„Ein Recht auf Trauer“ - Volkstrauertag 2020

Zum Gedenken an die Kriegstoten und an die Opfer der Gewaltherrschaft aller Nationen legten zum Volkstrauertag am 15. November Bürgermeister, Ortsvorsteher und Vertreter des Stadtrates, des Ortschaftsrates und der Stadtverwaltung an insgesamt neun Kriegsdenkmälern Kränze nieder.

Kranzniederlegung am Denkmal für die gefallenen Soldaten und Opfer im 1. Weltkriegzoom
Kranzniederlegung am Denkmal für die gefallenen Soldaten und Opfer im 1. Weltkrieg

Besonderes Augenmerk fiel dabei auf das Kriegerdenkmal des Bildhauers Johannes Ernst Born auf dem Inneren Friedhof in Großröhradorf. Wie Pfarrer i. R. Littig bereits in seiner Rede zum Gedenktag am 9. November ansprach, widersetzte sich neben dem jüdischen Bildhauer Benno Elkan auch der christlich geprägte Dresdner Johannes Ernst Born der nationalistischen Kritik.

Es sind nur wenige Informationen zu Johannes Ernst Born und seinem Schaffen zu finden. Ein glücklicher Umstand jedoch führte Pfarrer i. R. Littig zu einem Kontakt mit der Schwiegertochter von Johannes Ernst Born, die ihm freundlicherweise einen Zeitungsartikel von 1951 zur Verfügung stellte, in dem eine Würdigung der Leistungen des damals noch lebenden Bildhauers vorgenommen wird.

Johannes Ernst Born wurde 1884 in Meißen geboren. Nach einer dreijährigen Lehrzeit bei einem Bildhauer vervollkommnete er sein Können an der Kunstgewerbeakademie. Anschließend begab sich der junge Künstler auf eine Studienreise durch Italien und Spanien, durch Holland und Schweden, durch Norwegen und Ungarn, wo er sich von den Kunstwerken antiker und moderner Künstler inspirieren ließ. Tief prägend für sein weiteres Leben und Wirken war die Begegnung mit dem damals bekanntesten französischen Bildhauer Auguste Rodin (1840-1917).

Drei gestalterische Impulse spürt man im Wirken von Johannes Ernst Born: Die Antike, die Gotik und die Kunst Rodins. Das wird komplex sehr schön und eindrücklich in dem Kriegerdenkmal in Großröhrsdorf erkennbar. Vorausgegangen war eine Debatte, in der die beiden Witwen Emma Großmann, deren Sohn Günther im blühenden Alter von 20 Jahren 1917 in Frankreich gefallen ist, während zeitgleich die 20 Jahre alte Tochter von ihrer Schwägerin Meta Sophie Großmann nämlich Hildegard Großmann als Lazarettkrankenschwester in Warschau an einer Infektion starb. Beide Frauen lehnten entschieden zwei Entwürfe ab, die textlich lauten sollten: „GOTT meine SEELE, dem KAISER mein Blut. Ruhe sanft in fremder Erde!“ sowie „Was uns zum Sterben die Muskeln gestrafft, das war ganz Deutschlands heilige Kraft. Vorwärts, vorwärts, falle, was fällt! Wir fürchten nur Gott, sonst nichts in der Welt. Wiedersehn!“ Einem religiös begründeten Nationalismus und Heldenmythos konnten und wollten die beiden Witwen aus ihrer Überzeugung nicht dienen. Stattdessen einigten sie sich auf den von dem Dresdner Bildhauer Born gemachten Entwurf:

Vor einem spitzen Obelisken (Gotik) sieht man eine kniende Krankenschwester, die einen sterbenden Soldaten in ihren Armen hält (Auguste Rodin); der Soldat ist nicht mit einer deutschen Uniform gekleidet, sondern trägt den Schuppenpanzer eines römischen Soldaten (Antike).

links: Denkmal den Opfern des Weltkrieges; rechts: Die deutlich erkennbaren Gesichtszüge von Cousin Günther und Cousine Hildegard zoom
links: Denkmal den Opfern des Weltkrieges; rechts: Die deutlich erkennbaren Gesichtszüge von Cousin Günther und Cousine Hildegard

Die beiden Figuren tragen die Gesichtszüge von Cousin Günther und Cousine Hildegard und wirken damit auch besonders ergreifend. Auf dem Obelisken stehen in Rot die Worte „Den Opfern des Weltkrieges“ ergänzt durch ein Bibelwort. Die Baufirma M. u. E. Völkel lieferte die Zeichnungen zum gärtnerischen Entwurf für den Ehrenhain, der durch den Gärtner Paul Müller ausgeführt wurde. 1920, also vor genau 100 Jahren, wurde die Anlage mit großer Anteilnahme der Gemeinde durch Pfarrer Alfred Bompach geweiht und ist seitdem ein Mahnmal gegen den Krieg.

Inzwischen hatte der Zahn der Zeit an der Substanz des Sandsteins genagt. Zwar gingen sie hier nicht so weit, das Denkmal wie von Elkan in Völklingen zu zerstören, aber der Stadtrat untersagte eine öffentliche Spendensammlung, um eine unbedingt notwendige Sanierung des Denkmals vorzunehmen zu können. Die Sanierung wurde dennoch möglich durch eine Spende von Frau Dr. Margot Sauerbruch geb. Großmann aus Berlin 1939. Denn das Denkmal zeigte ihre Schwester und ihren Cousin.
Der Jude Benno Elkan und der Christ Johannes Born waren zwei Künstler im gleichen Geist, die mit ihren Werken bleibend mahnen, dass jeder Krieg zu unsäglichen Opfern führt, und dass es vor allem die Frauen sind, die die große Last der Trauer über die vielen menschlichen Verluste zu tragen haben.

Norbert Littig

Stadtverwaltung Großröhrsdorf   Rathausplatz 1   01900  Großröhrsdorf