Auch in diesem Jahr luden Pfarrer Norbert Littig und Bürgermeisterin Kerstin Ternes für Freitag, den 9. November um 11.30 Uhr zur stillen Besinnung anlässlich der Reichspogromnacht vor 80 Jahren an den Gedenkstein der Familie Schönwald an der Ecke Bankstraße / Bandweberstraße ein.
Bürgermeisterin Kerstin Ternes forderte in ihrer Rede auf,
dass Schlimme nicht zu vergessen, damit sich Gräueltaten in der Geschichte
nicht wiederholen: „Die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 gehört zu den
schlimmsten und beschämendsten Momenten der deutschen Geschichte. Natürlich: Im
Vergleich zu dem, was noch kommen sollte, war sie nur ein Vorbote. Aber ihre
Geschehnisse waren auch für sich ein solcher Schlag in das Gesicht von
Humanität, Zivilisation und Anstand, dass wir dieses Datum nicht vergessen
dürfen.“ Deshalb erinnern wir in Großröhrsdorf ganz bewusst an diesen traurigen
Jahrestag und das damit unmittelbar verbundene Schicksal der Familie Schönwald.
Unsere Verantwortung ist es, solche Verachtung, Verfolgung
und Vernichtung von Menschen nie mehr zuzulassen. So müssen wir wahrnehmen,
dass auch in unserer demokratischen Gesellschaft leider nach wie vor
rechtsextremes Gedankengut vorhanden ist. Antisemitische Straftaten nehmen
wieder zu. Deshalb muss es uns aller Aufgabe sein, diesem Bestreben mit
Zivilcourage entgegenzutreten.
Pfarrer Norbert Littig las einen Beitrag des Enkels von Curt
und Regina Schönwald, Professor Kenneth Wald unter dem Thema „Erinnerungen an
meine Eltern“ aus dem neu erscheinenden Buch „Erbaut 1928 CS – 2. Teil“ vor.
Sein Vater, Heinz Schönwald konnte 1939 noch rechtzeitig in die USA emigrieren.
Von dort aus hat er drei Jahre vergeblich versucht, ein rettendes Visum für
seine Eltern Curt und Regina Schönwald zu bekommen. Das scheiterte aber daran,
dass die Länder der damaligen freien Welt – und eben auch die USA – so genannte
„Obergrenzen“ für deutsche Flüchtlinge eingerichtet hatten. Ein Leben lang hat
Heinz Schönwald, der sich fortan Henry Wald nannte, darunter gelitten. Er
heiratete eine junge jüdische Flüchtlingsfrau und hatte mit ihr zwei Söhne, die
vor 10 Jahren diesen Gedenkstein mit eingeweiht haben.
In seinem Artikel blickt Henry Wald auf seine Kindheit
zurück. Erst nach dem Tod des Vaters erfährt er Details über das Schicksal
seiner Großeltern und versteht dadurch immer mehr die Einstellung und das
Verhalten der Eltern: „Wie den meisten Kindern, so kamen auch meinem Bruder und
mir unsere Eltern etwas seltsam vor. Sie waren natürlich im Ausland geboren.
Meine Mutter sprach nur ein gebrochenes Englisch und mein Vater, der über eine
exzellente Aussprache verfügte, hatte Probleme, die kulturellen Normen in den
Vereinigten Staaten zu verstehen. Wie so viele andere Kinder von Einwanderern,
rebellierten auch wir regelmäßig gegen die „korrekten“ europäischen Standards,
nach denen unsere Eltern uns erziehen wollten. Ihr „Ausländer-Sein“ war dabei
viel tiefgründiger, als dass es nur den sprachlichen Bereich oder das
kulturelle Verständnis betraf. Es zeigte sich immer wieder in ihren
persönlichen Charaktereigenschaften, was wir aber erst bemerkten und
verstanden, als wir erwachsen wurden. Unsere Eltern waren nicht nur Ausländer,
sie kamen aus einer anderen Welt.“
Henry Wald beschreibt unter anderem, wie seine zierliche
Mutter immense Kraft und Durchsetzung aufbrachte, um für ihren Vater, ihre
Schwester und sich selbst ein Visum am amerikanischen Konsulat zu erhalten, und
wie auch Jahre später noch in der USA die Mutter sich von den Nazis bedroht
füllte.
„Beide Elternteile durchlitten Tragödien und Traumata, die
sie hätten zerstören können oder sie zu Alkohol und Drogen hätten führen
können, um damit zurechtzukommen. Doch sie zeigten keinerlei Form von
Selbstmitleid und verbargen ihre Gefühle, damit mein Bruder und ich nicht
erschraken. Für dieses Unterdrücken zahlten sie einen psychologischen Preis,
etwas, vor dem sie jeder Therapeut hätte warnen können. Trotzdem schafften sie
es, Kinder aufzuziehen, uns Liebe zu geben, unsere Bestrebungen zu unterstützen
und Teil der jüdischen Welt zu bleiben.“ so reflektiert Kenneth Wald.
Am 18.11.2018 wird 19.00 Uhr in der Kirche zu Kleinröhrsdorf
das Buch vorgestellt, auch wenn es dort eventuell noch nicht fertig gedruckt
vorliegt.
Mit drei Gesangsstücken begleiteten das Ehepaar Mütze und
Frau Dorothea Wappler die Gedenkstunde am 9. November. Im Anschluss legten alle
Anwesenden mit Bürgermeisterin Kerstin Ternes und Pfarrer Norbert Littig eine
weiße Rose und eine weiße Lillie sowie Kieselsteine am Gedenkstein der Familie
Schönwald nieder.
Stadtverwaltung Großröhrsdorf Rathausplatz 1 01900 Großröhrsdorf