„Vergeben JA, Vergessen NEIN!“

Auch in diesem Jahr luden Pfarrer Norbert Littig und Bürgermeisterin Kerstin Ternes für Mittwoch, den 9. November um 11.30 Uhr zur stillen Besinnung anlässlich der Reichspogromnacht vor 78 Jahren an den Gedenkstein der Familie Schönwald an der Ecke Bankstraße / Bischofswerdaer Straße ein.

Beide nahmen eine kürzliche Reise von Pfarrer Littig nach Armenien zum Anlass, um an diesem Beispiel zu verdeutlichen, wie wichtig es ist, bewusst zu vergeben, aber dennoch die Geschichte nicht zu vergessen.

Bürgermeisterin Kerstin Ternes forderte in ihrer Rede auf, dass Schlimme nicht zu vergessen, damit sich Gräueltaten in der Geschichte nicht wiederholen. Zu den schlimmen Taten der Geschichte des 20. Jahrhunderts gehört auch das Massaker und die Vertreibung der Armenier und anderer christlicher Minderheiten im Osmanischen Reich, welche vor über hundert Jahren ihren Anfang nahmen. Unter der nationalistischen Idee eines reinen Türkenvolkes wurden Hunderttausende Armenier aus ihrer angestammten Heimat vertrieben, fast alle ihre Orte in Ostanatolien wurden zerstört, ja selbst die Ortsnamen wurden ausgelöscht und mehr als 1,5 Millionen Armenier wurden in die Wüste verbracht, wo man sie hingerichtet hat, oder sie sind einfach auf diesem Todesmarsch verhungert und verdurstet.

Dieses furchtbare Verbrechen wurde von der Türkei, aber auch anderen Völkern wie z. B. Deutschland Jahrzehnte verdrängt und sollte vergessen werden. Der Genozid an den Armeniern diente Adolf Hitler als Blaupause für den geplanten Massenmord an dem jüdischen Volk. Daher dürfen wir diese schlimmen Ereignisse nicht vergessen. „Sie rufen uns heilsam ins Bewusstsein, wozu Menschen fähig sind, wenn sie sich selbst vergöttern und zum Maßstab über Leben und Tod machen.“ mahnte Pfarrer Littig.

Genau 100 Jahre musste das armenische Volk warten, bis dieser erste Genozid auch durch das deutsche Volk als solcher anerkannt wurde. Grundlage bildete u. a. eine Nachauflage einer Dokumentation von Johannes Lepsius aus dem Jahr 1915, in der der deutsche Pfarrer und Orientforscher vor Ort unter Einsatz seines Lebens das Massaker mit Namen und Zahlen akribisch dokumentiert hatte. Einstimmig beschloss der Bundestag am 02.06.2016 die Armenien-Resolution und bedauert damit die unrühmliche Rolle des Deutschen Reiches – das als militärischer Hauptverbündeter des Osmanischen Reiches trotz eindeutiger Informationen auch von Seiten deutscher Diplomaten und Missionare über die organisierte Vertreibung und Vernichtung von über einer Million Armenier nicht versucht hatte, diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu stoppen. Der Deutsche Bundestag hat damit diesen Völkermord an den Armeniern verurteilt, der Opfer gedacht und zur Versöhnung aufgerufen.

Bürgermeisterin und Pfarrer riefen auf, ein öffentliches Zeichen mit dem gemeinsamen Nachdenken und Gedenken über die Geschichte der Vertreibungen, Massenvernichtungen, ja der Völkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist, zu setzen. 
„Vergebung JA, Vergessen NEIN?“ Vergebung ist nicht nur ein Angebot für ein gelingendes zwischenmenschliches Miteinander, sie hat auch eine politische Dimension im Zusammenleben der Völker. Dass Aussöhnung mit schuldhafter Geschichte gelingen kann, dafür ist auch das jährliche Gedenken am Denkmal der jüdischen Familie Schönwald ein kleines Zeugnis. Nur durch ein bewusstes Vergessen würden wir wieder schuldig. Deshalb „Vergebung JA, Vergessen NEIN!“.

Im Anschluss legten Bürgermeisterin Kerstin Ternes und Pfarrer Norbert Littig eine weiße Rose und eine weiße Lillie an den Gedenkstein der Familie Schönwald nieder.

Pogromnachtzoom

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